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Das Alter ist kein Argument

"Du musst Geduld haben, bei jüngeren Leuten heilen Knochenbrüche eben schneller", versuchte man  mich aufzumuntern, als ich zur Tatenlosigkeit verurteilt, die schönste Zeit des Jahres mit einem Beinbruch auf dem Liegestuhl verbrachte.
Als ich dem klugen Arzt die "Erkenntnisse" meiner Freunde beiläufig schilderte, lachte der und meinte, alles verliefe normal, außerdem sei ich biologisch jünger als es in meinem Ausweis stände. "Das wissen sie selbst", meinte er augenzwinkernd, doch darin täuschte er sich. Dennoch, meiner Eitelkeit tat das gut und ich spürte förmlich, wie der Heilungsprozess plötzlich an Fahrt aufnahm...
Eitelkeit und Knochenheilung sind also nicht vom Alter abhängig, das hatte ich nun gelernt. Und vieles von dem, was das Leben noch zu bieten hat, ebenfalls nicht. Dieser Verdacht kam mir schon früher, nur wirklich darüber nachgedacht hatte ich noch  nicht. Dabei ist das Alter - jedes Alter - eines der zentralen Themen im menschlichen Denken überhaupt.
Ist man jung, wünscht man sich, älter zu sein und ist man alt, empfindet man das Altern als Last. Wir Menschen wünschen uns offensichtlich immer ein anderes Lebensalter, als das, in dem wir gerade leben.
Sieht man sich das Leben anderer an, erkennt man, dass jedes Alter etwas Besonderes zu bieten hat. Das wird oft nicht erkannt. Wenn wir als junger Mensch älter und erfahrener sein - und wirken - wollen als wir sind, kostet das unnötige Lebensenergie, die sinnvoller eingesetzt werden könnte. Manchmal dauert das Begreifen dieses Zusammenhanges so lange, bis wir wirklich alt sind. Wer als älterer Mensch nur "der guten alten Zeit" nachtrauert und von ewiger Jugend träumt, versäumt dabei aktiv in der Gegenwart zu leben und vergisst beim Träumen die ihm zur Verfügung stehende Zeit sinnvoll zu nutzen und mit wirklichem Leben zu erfüllen.
Glücklicherweise gibt es viele Menschen, die sich nicht darum scheren, in welchem Lebensalter sie sich gerade befinden. Sie packen das an, was sie sich in den Kopf gesetzt haben und wozu sie sich hingezogen fühlen. Das galt auch für die Großen der Vergangenheit. Gleichgültig, ob sie nun ein kurzes, oder ein langes, arbeitsreiches Leben gelebt hatten, sie alle haben sich um ihre Begrenztheit durch die Zeit und damit des Alters nie gekümmert. Aber sie haben uns durch Begeisterung und Optimismus vorgemacht, das Leben in jeder "Altersklasse" voller Elan anzupacken.
Mir fällt spontan Mozart ein. Das stelle man sich mal vor: Mit drei Jahren spielt dieses Kindergenie Klavier und gerade mal mit sieben Jahren wurde seine erste Komposition gedruckt!
Oder Benjamin Franklin. Mit 16 Jahren schrieb er Zeitungsartikel und mit 81 Jahren trug er ganz wesentlich zum Zustandekommen der amerikanischen Verfassung bei. Mit 64 Jahren umsegelte Francis Chicester allein mit seiner 16 Meter Yacht die Erde - was mich als Segler sehr beeindruckte - und Pablo Casals, der mit 96 Jahren gestorbene Cellist, Dirigent und Komponist, gab noch mit 88 Jahren öffentliche Konzerte.
Gar nicht einzeln erwähnen kann ich diejenigen, die mit ihren Aktivitäten nie ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geraten oder nur in ihrem engeren Umfeld wahrgenommen werden. Sie bewundere ich besonders. Menschen aller Altersklassen - die Ehrenamtlichen - sind es, die still und aufopferungsbereit in allen Altersgruppen immer dort wirken, wo sie gebraucht werden.
An ihnen wird am unaufdringlichsten sichtbar, dass es nie zu früh oder zu spät ist, nach einem Ziel - gleichgültig welchem - zu streben!

(Text von Wolfgang Nieschalk)