Die heiligen drei Orangen
Eine friedensstiftende Adventszeit im säkularisierten Sinn ist eine logistische und organisatorische Herausforderung – für die Paketdienste, Lebensmittel-händler und alle Familienclans, selbst wenn man auf Dachrinnenlichterketten und betriebliche Weihnachtsfeiern verzichtet. Immerhin ist die Zeit um das Fest planbar: das Menü mit Kartoffelsalat und Würstchen am 24., der Besuch bei der Großeltern am 25. und die Böller- und Raketenbeschaffung ab dem 30. Dezember. Auch bei einer gerechten Verteilung der Geschenke (zwischen den Geschwistern) sind die emotionalen Spannungen der Restfamilie absehbar und kalkulierbar: die Marotten und Konfliktursachen aller jährlich Anreisenden sind ergründet, und eine deeskalierende Strategie bei verletzenden Sprüchen zurechtgelegt: Reibung erzeugt Wärme, denkt sich der Naturwissenschafter, und wer sich streitet friert eben nicht, denkt der Peacemaker. Und irgendwie sollte die Weihnachtszeit doch ein Gewinn für alle werden, denke ich.
Wer all diesen Dingen und möglichen Überraschungsbesuchen ausweichen will, zieht sich mit Frühbucherrabatt in Kalorien-getränkte All-inclusive-Bettenburgen zurück und kämpft höchstens um eine freie Badeliege oder um einen Fensterplatz im Flieger beim Rücktransfer. Im Januar drohen zwar keine weltweit organisierten Spendensammlungen mehr, aber Hausbesuche einer anderen Art. Schon im letzten Jahr wurde meine Solargartenleuchte mit einem Stern verwechselt und besungen. Ich hatte noch genügend Kekse und Scho-kolade, und die Kids zogen zufrieden weiter. Im Sommer sah ich sie im Schwimmbad – sie hatten wohl reichlich Süßigkeiten gegessen und nutzten ihre Körperfülle, um beim Sprung vom Dreier möglichst hohe Fontänen zu erzeugen. Mit mir um die Wette Schwimmen wollten sie nicht. Ich bekam ein schlechtes Gewissen: war ich etwa mitschuldig an ihrer kindlichen Fettleibigkeit? So plante ich einen häuslichen Vorrat an Äpfeln und Orangen anzulegen. Die sind haltbar und bekommen auch bei längeren Dorfmärschen von Sternsin-gern keine Druckstellen wie Bananen.
In einigen kurzweiligen Artikeln über Gerechtigkeit und die Kunst der Streitvermittlung stieß ich auf ein anderes Problem. Was ist, wenn die Orangen nicht reichen, und sich vor meiner Haustür ein handfester Streit entwickelt? Wie teile ich zwei Orangen auf drei Könige auf? Zunächst kaufte ich eine zweite Kiste Orangen, „to enlarge the pie“ nennen das die Friedensstifter. Das würde immerhin für einige Heerscharen reichen. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, das meine Tochter ihren Vitamin C –Bedarf mit frisch gepressten Orangensaft deckte, und so stellte ich nach Sylvester fest, dass ich dringend Nachschub benötigte.
Inzwischen hatte ich auch mehr über das Win-Win-Prinzip gelesen. Man solle nicht einfach nur teilen, sondern die Bedürfnisse der Beteiligten erkunden und so zu neuen Lösungen kommen, die alle zufriedenstellen würden.
Und da fand ich sogar in einem wissenschaftlichen Aufsatz das Beispiel mit meinen Orangen. Zwei Schwestern würden sich um drei Orangen streiten. Klar, man könne sie teilen, jede eineinhalb. Aber jede wollte alle drei. Ein heftiger Streit entstand, bis ein Dritter dazukam und fragte: was wollt ihr denn damit überhaupt machen? Die Eine wollte den Saft, die Andere wollte die Schale für das Kuchenaroma. So entstand die legendäre Win-Win-Lösung.
Ich stellte mir die drei Könige vor: Caspar, Balthasar und Melchior. Die brachten angeblich, Gold, Weihrauch und Myrrhe mit. Danach hatten sie mich aber noch nie gefragt. Sie waren immer mit einigen Euros, Keksen und Schokolade zufrie-den gewesen. Ein weitere Frage schoss mir durch den Kopf: war die Schale meiner Orangen eigentlich unbehandelt? Ich fuhr in die Stadt und kaufte eine zusätzliche Kiste mit Bio-Orangen. Immerhin könnte ich nun Melchior überzeugen, dass er statt Myrrhe auch Orangenschalen mitnehmen könnte: getrocknet schmecken sie auch bitter und riechen gut. Aber was sollte ich Caspar mitgeben? Und was wollte Balthasar? Ich stellte mir nach dem ersten friedlichen Singen doch eine ziemlich schwierige Diskussion vor meiner Haustür vor. Ich beschloss nach einer neuen Lösung zu suchen. Ich schälte die Orangen, holte Mehl, Eier, Zucker und weitere Zutaten und backte einen Kuchen mit den Orangenschalen – für die Könige. Dann machte ich ein: Orangenmarmelade für mich selber. Schließlich sollen die Mediatoren und Friedensstifter auch was von einem Streit haben.
Wer all diesen Dingen und möglichen Überraschungsbesuchen ausweichen will, zieht sich mit Frühbucherrabatt in Kalorien-getränkte All-inclusive-Bettenburgen zurück und kämpft höchstens um eine freie Badeliege oder um einen Fensterplatz im Flieger beim Rücktransfer. Im Januar drohen zwar keine weltweit organisierten Spendensammlungen mehr, aber Hausbesuche einer anderen Art. Schon im letzten Jahr wurde meine Solargartenleuchte mit einem Stern verwechselt und besungen. Ich hatte noch genügend Kekse und Scho-kolade, und die Kids zogen zufrieden weiter. Im Sommer sah ich sie im Schwimmbad – sie hatten wohl reichlich Süßigkeiten gegessen und nutzten ihre Körperfülle, um beim Sprung vom Dreier möglichst hohe Fontänen zu erzeugen. Mit mir um die Wette Schwimmen wollten sie nicht. Ich bekam ein schlechtes Gewissen: war ich etwa mitschuldig an ihrer kindlichen Fettleibigkeit? So plante ich einen häuslichen Vorrat an Äpfeln und Orangen anzulegen. Die sind haltbar und bekommen auch bei längeren Dorfmärschen von Sternsin-gern keine Druckstellen wie Bananen.
In einigen kurzweiligen Artikeln über Gerechtigkeit und die Kunst der Streitvermittlung stieß ich auf ein anderes Problem. Was ist, wenn die Orangen nicht reichen, und sich vor meiner Haustür ein handfester Streit entwickelt? Wie teile ich zwei Orangen auf drei Könige auf? Zunächst kaufte ich eine zweite Kiste Orangen, „to enlarge the pie“ nennen das die Friedensstifter. Das würde immerhin für einige Heerscharen reichen. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, das meine Tochter ihren Vitamin C –Bedarf mit frisch gepressten Orangensaft deckte, und so stellte ich nach Sylvester fest, dass ich dringend Nachschub benötigte.
Inzwischen hatte ich auch mehr über das Win-Win-Prinzip gelesen. Man solle nicht einfach nur teilen, sondern die Bedürfnisse der Beteiligten erkunden und so zu neuen Lösungen kommen, die alle zufriedenstellen würden.
Und da fand ich sogar in einem wissenschaftlichen Aufsatz das Beispiel mit meinen Orangen. Zwei Schwestern würden sich um drei Orangen streiten. Klar, man könne sie teilen, jede eineinhalb. Aber jede wollte alle drei. Ein heftiger Streit entstand, bis ein Dritter dazukam und fragte: was wollt ihr denn damit überhaupt machen? Die Eine wollte den Saft, die Andere wollte die Schale für das Kuchenaroma. So entstand die legendäre Win-Win-Lösung.
Ich stellte mir die drei Könige vor: Caspar, Balthasar und Melchior. Die brachten angeblich, Gold, Weihrauch und Myrrhe mit. Danach hatten sie mich aber noch nie gefragt. Sie waren immer mit einigen Euros, Keksen und Schokolade zufrie-den gewesen. Ein weitere Frage schoss mir durch den Kopf: war die Schale meiner Orangen eigentlich unbehandelt? Ich fuhr in die Stadt und kaufte eine zusätzliche Kiste mit Bio-Orangen. Immerhin könnte ich nun Melchior überzeugen, dass er statt Myrrhe auch Orangenschalen mitnehmen könnte: getrocknet schmecken sie auch bitter und riechen gut. Aber was sollte ich Caspar mitgeben? Und was wollte Balthasar? Ich stellte mir nach dem ersten friedlichen Singen doch eine ziemlich schwierige Diskussion vor meiner Haustür vor. Ich beschloss nach einer neuen Lösung zu suchen. Ich schälte die Orangen, holte Mehl, Eier, Zucker und weitere Zutaten und backte einen Kuchen mit den Orangenschalen – für die Könige. Dann machte ich ein: Orangenmarmelade für mich selber. Schließlich sollen die Mediatoren und Friedensstifter auch was von einem Streit haben.
Frank Lähndorff